Mondwanderung Bödmeren-Silberen

Die Magie einer Mondnacht, die einen silbernen Schein über die Karstlandschaft legt – das wollten wir erleben.

Losgewandert sind wir vom Bödmerenwald, dem grössten Urwald des Alpenraums. Er liegt am Pragelpass im Kanton Schwyz, in der Schweiz. Manche der Bäume hier sind 500 Jahre alt, Fichten mit meterlangen Bart-Flechten behangen, wie im Wald Fangorn aus dem «Herr der Ringe» von Tolkien. Kein Mensch weit und breit, ausser ein junger Freund von mir und ich. Er geht voran, auf Wegen die mehr Trampelpfade sind als Wege. Von Zeit zu Zeit bleibt er stehen. Schaut, weist mich auf besondere Blumen hin, auf spezielle, riesige, von Moosen und Farnen überwucherte Steine, auf die phantastischen Wuchsformen von Ästen der alten Fichten. Er hat ein gutes Auge, das ehrfürchtig auf diese unberührte Natur schaut.

Wir reden nicht viel. In der Stille schwingen wir uns ein auf diesen Ort hier und auf uns. Hier stimmt alles. So wie es ist, so ist es gut. Das Wachstum dieser riesigen Bäume ist gut. Und wenn der Sturm einen alten fällt, ist es auch gut, selbst wenn der alte einige Junge unter sich begräbt. Die Erde hier ist in ihrer vollen Kraft und wir spüren, dass sie uns daran teilhaben lässt.

Je weiter wir den Berg hoch wandern, um so lichter wird der Wald. Am Mittag haben wir die Waldgrenze erreicht und machen ein Picknick. Es geht uns gut. Wir haben etwas zu essen, zu trinken, sitzen in einer der grossartigsten Landschaften der Schweiz und fühlen, dass wir hier und jetzt gemeinsam etwas erleben, das aussergewöhnlich wertvoll und schön ist.

Dann geht’s weiter hinauf, über die Baumgrenze. Vor uns entfaltet sich die Karstlandschaft, hell fast grell glänzend im Sonnenschein. Wir kommen ins Schwitzen. Auch weil wir die Wege ab und zu verlieren, uns verlaufen, neu suchen müssen, uns neu orientieren müssen. Trotzdem ist es herrlich. Wir sind vollkommen für uns. Inmitten dieser phantastischen Natur. Wir wandern über arg zerklüftete Felsrücken, federn durch Moore, entdecken kleine Seen und Tümpel. Der Wind pfeift an gewissen Ecken und nutzt die Karren und Schratten als Orgelpfeifen. Wir fühlen uns in eine andere Welt versetzt. Die Düfte, die Formen, die Töne, die Einsamkeit, alles zusammen wirkt entrückt, irreal.

Es ist eine weite Wanderung. Stunde um Stunde vergeht und wir spüren, wie wir langsam ermüden. Die Dämmerung legt sich über uns. Es wird dunkler und dunkler. Wir rasten erneut. Diesmal an einem kleinen Tümpel. Wir sind erschöpft. Essen, was wir noch haben. Und dann geht der Mond auf. Er erscheint über dem Berggipfel und spiegelt sich im Wasser des Teiches. Es fühlt sich an wie ein Zauberschlag. Plötzlich verwandelt sich die dunkle Landschaft in ein Bild von Formen, die allesamt mit einem silbrig glänzenden Schleier überzogen sind. Von oben scheint der volle Mond, von unten scheint die Erde zurück. Uns laufen die Augen über. So schön ist das. Es gibt gar nichts mehr zu sagen. Wir staunen nur. Sind selber verzaubert. Sehen wie der andere auch feuchte Augen bekommt von alldem Zauberhaften, das sich vor uns ausbreitet.

Leise packen wir unsere Rucksäcke zusammen und machen uns auf den Weg durch dieses Zauberland. In dem jeder einzelne Stein glänzt. Jeder Ast plötzlich von Silber überzogen ist. Jeder Halm eine Silbersträhne. Der Rückweg hinunter zum Pragelpass ist noch weit. Wir gehen ihn in einer Art Trance, bezaubert und vollkommen erschöpft. Als wir endlich unten auf der Passstrasse ankommen, fallen wir uns in die Arme. Wir können kaum noch stehen und hängen aneinander, drücken einander, atmen einander ein und realisieren, dass wir zusammen etwas Surreales und etwas Esoterisches erlebt haben, das wir nie vergessen werden. Und noch in dieser Umarmung kommen wir beide langsam wieder in der realen Welt an. Der Zauber, der uns eben noch vollständig umfangen hat, weicht zurück, wie ein leichter Nebel, der vom Wind weggetrieben wird. Wir öffnen die Augen, lösen uns, blicken einander in die Augen. Es ist ein tiefer Blick. Ein Lächeln. Ein gemeinsames Abschiednehmen und Zurückkehren in die normale Welt jenseits der Magie einer Mondnacht.

(2009)

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