Schneewunder

Schneewunder

Luzern, erster richtiger Wintertag, frühmorgens, -3 Grad Celsius: Ja, auch auf meinem Balkongeländer wurde Schnee aufgebiegen. Das Geländer ist drei Zentimeter breit. Der Schnee darauf liegt 15 Zentimeter hoch. Wie ist das möglich!? 

Flocke für Flocke hat sich unendlich leicht da niedergelassen. Jede einzelne Flocke verzahnte sich mit all den Flocken um sie herum. Sie sind niedergeschwebt, sicher hunderttausend von ihnen, um auf diesem schmalen Stück Geländer dieses Schneemäuerchen zu bauen. Wer könnte das so tun? Wer hätte diese Geduld? Diese Leichtigkeit?

Keiner von uns Menschen jedenfalls. Da hat ein*e grösser*er Baumeister*in gewirkt. Aber ich sehe ihn/sie nicht. Ich nehme keine Spuren von Tritten wahr. Ich lausche in die Schneewelt hinaus und höre nur die Stille.

Und werde dabei selber still. Und verspüre die Bewunderung mit meinem Herzen, das ruhig wird. Ich entspanne mich, es gibt nichts zu tun, ausser es geschehen zu lassen, dieses Wunder. Da ist etwas am Werk, das viel, viel grösser ist als ich. Diese schiere Grösse könnte Angst einflössen, tut sie aber nicht, im Gegenteil, sie schafft Vertrauen. Wenn der Himmel es fertigbringt innert Stunden ein solches weisses Mäuerchen zu schöpfen, was muss ich mir dann noch Sorgen machen?

Also lasse ich die Sorgen alle los und spüre der Freude nach, die dieser Schnee mir bringt. In dieser Freude liegt die Dankbarkeit, dass alles gut ist, so wie es ist. Und dass alles miteinander verbunden ist, jede Flocke mit der andern, die Schneedecke mit dem Boden und dem Himmel, ich mit dieser grossen, weissen Schneelandschaft und mit mir.

Tiefschneefahren ist wie Fliegen


Es schneit, gestern schneite es auch. Wir fahren mit den Autos zur Gondel und sind froh um unseren Vierradantrieb. Dann geht’s hinauf auf den Didamskopf im Bregenzerwald. Zuerst sehen wir nichts dort oben. Stecken in den Wolken, fahren die ersten Abfahrten fast blind. Dann reisst es auf. Die Sonne ist plötzlich in ihrer vollen Leuchtkraft da und nun sehen wir den frisch verschneiten Bergwinter in seiner ganzen Pracht. Jungfräuliche Hänge ohne eine einzige Spur überall. Alle Pisten lassen wir links liegen. Ab in den Tiefschnee. Pulverig, beinah einen Meter hoch, göttlich! Wir legen die ersten Spuren, alle von uns, es ist leicht, es ist reines Vergnügen! Der Pulverschnee hält uns und lässt uns doch frei schwingen, er gibt uns unsere Spuren und lässt uns die Linien doch selber ziehen. Es ist das absolut beste Tiefschneefahren der letzten 50 Jahre!

Und das Beste vom Besten ist der Steilhang. Dort liegt der Pulverschnee hüfttief. Der Hang ist so steil, dass man etwas Mut braucht, um oben einzusteigen. Aber heute nicht. Die Pulverschneemasse hält mich am Berg, begrenzt das Tempo und ich schwinge fast im freien Fall den steilen Hang hinunter, ohne Zwischenhalt, fast wie Fliegen fühlt es sich an. Ich flute mich mit Adrenalin und mein Herz stampft. An der Brille hängt Schnee, ich sehe fast nichts, aber das Schwingen geht auch so. Nocheinmal und nocheinmal rauf und wieder den Steilhang runter. Auch mit den Spuren drin gibt es kein Problem, so leicht ist der Schnee heut. Wir fahren, nein befliegen ihn bis zur Erschöpfung, bis zur letzten Bahn.

(Bregenzerwald, Österreich, Dezember 2013)