
F: Was ist ein «Segantini-Tag»?
R: An einem «Segantini-Tag», erlebe ich das Engadin so, wie Segantini es gemalt hat. «Diese Berge. Diese Weite. Dieses Licht», sagen wir heute. Er konnte das malen. Und das ist spürbar, wenn man vor seinen Bildern steht.
F: Also muss man ins Segantini-Museum, um das zu erleben?
R: Segantini konnte die Engadiner Landschaft so malen, dass Herz und Seele erzittern. So begreife ich seine Bilder. Aber um dies zu begreifen, musste ich zuerst draussen erfahren, was die reale Landschaft mit mir macht.
F: Und wie sieht diese Erfahrung aus?
R: Sie besteht aus purer Begeisterung und purer Freude. Die Berge sind ja immer da. Die Weite auch, nur das Licht hat nicht immer die gleiche Qualität. Aber an «Segantini-Tagen» leuchtet es sozusagen aus dem Innern der Landschaft. Und das ist wunderbar.
F: Aber geschieht das nicht immer, wenn hier im Engadin die Sonne scheint?
R: Eigentlich schon, aber wir sind nicht immer bereit, dieses Leuchten so zu sehen. Im normalen Alltag schauen wir von aussen auf die Lärchen oder auf den grünen Inn, der von der Sonne beleuchtet wird. An «Segantini-Tagen» kehren wir diese Perspektive um und schauen von innen.
F: Das ist mir zu abstrakt. Wie soll ich mir das vorstellen?
R: Ganz konkret: Am letzten Freitag lag zum ersten Mal im Jahr Schnee hier. Der Himmel war wolkenlos. Die Lärchen noch gelb aber schneebedeckt. Eiskristalle von gefrorenem Nebel an allen Ästen – eine magische Stimmung. Ich bin am revitalisierten Inn bei Bever entlang spaziert und konnte mich kaum sattsehen. Und so erging es allen. Ich habe noch nie so viele Leute gesehen, die immer und immer wieder nach ein paar Schritten stehen blieben und fotografiert haben. Und alle strahlten und waren glücklich. Ich habe auch noch nie so viele Gespräche geführt. Man konnte gar nicht anders als die Begeisterung und Freude, die alle verspürten, allen andern mitzuteilen. Nicht nur die Lärchen leuchteten, auch die Spaziergängerinnen und Spaziergänger hatten dieses Leuchten auf ihren Gesichtern.
F: Das klingt beeindruckend.
R: Es war überwältigend. Diese Wucht von Schönheit erfasste alle und alles. Und plötzlich war man eben nicht mehr nur Beobachter oder Fotograf, sondern Teil dieser leuchtenden Landschaft, wie die Lärchen, wie der Beverin, der Inn oder der Kirchturm. Alles leuchtete und man leuchtete mit.
F: Also quasi ein Erleuchtungserlebnis (schmunzelt)?
R (lacht): Ich würde das jetzt auch nicht zu hoch hängen wollen. Sagen wir doch einfach: ein «Segantini-Tag». Ich glaube, dass Maler wie Segantini, aber auch Van Gogh, eben nicht nur die Kunst des Malens beherrschten, sondern auch die Gabe hatten, Landschaften von innen zu sehen. Sie verschmolzen sozusagen mit der Landschaft und genau das macht ihre Bilder so berührend. Wir Normalsterblichen besitzen diese Gabe auch, aber sie ist bei uns weniger ausgeprägt. Aber an solchen «Segantini-Tagen» poppt sie auf und das ist dann eine pure Freude.
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