Gier versus Platz im Kosmos

Gier versus Platz im Kosmos

Von den sieben Todsünden haben vier mit Gier zu tun. Vom Klimawandel über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich über die chaotischen Zustände im Finanzwesen über die massenhafte Produktion von Fake-Medikamenten bis hin zur Machtpolitik der USA, der Türkei, Chinas, Nordkoreas, Saudi-Arabiens hat alles mit Gier zu tun. Gier ist das Schmiermittel der Jahrtausendwende. Der Gier gegenüber von Bescheidenheit zu predigen ist nutzlos. Während die Gier Glanz in die Augen zaubert, kräuselt die Bescheidenheit nur ein spöttisches Lächeln um die Lippen.

Wenn ich mir die Menschen vergegenwärtige, von denen ich glaube, dass sie nicht gierig sind, fällt mir eine Gemeinsamkeit auf: Sie erwecken den Eindruck, dass sie ihren Platz im Kosmos einnehmen. Sie suchen nicht mehr, sie haben gefunden. Sie füllen den Raum, der zu ihnen gehört. Sie sind bei sich angekommen. Sie verströmen den Geschmack von Freiheit. Wirken gelöst und sind doch, in dem was sie sind, verwurzelt.

Was sie tun, tun sie nicht aus Getriebenheit, sondern weil sie es für sich als richtig und wichtig empfinden.

Ich kenne keinen einzigen, der das zu hundert Prozent verkörpert. Aber einige, die diesen Zustand die meiste Zeit ihres Tages leben können. Einer davon ist der kürzlich verstorbene Bernie Glassmann, ein Zen-Meister aus New York mit dem ich eine Reise durch Japan erleben durfte (Bild).
Bei Kindern und Jugendlichen begegnet mir das öfter als bei Menschen in mittleren Jahren, und wieder öfter begegne ich von Gier befreiten alten Menschen. Die mittleren 40 Jahre, von 20 bis 60 sind wohl am meisten von Gier beherrscht. Bei Frauen gleich wie bei Männern.

«Seinen Platz im Kosmos einnehmen.» Also dort sein, wo man hingehört. Das tun, wozu man geboren wurde. Das bedeutet nicht, zu verharren und sich ein Leben lang nicht mehr zu bewegen. Aber es kann auch nicht bedeuten, ein Leben lang gegen den Strom zu schwimmen. Jeder Fluss fliesst früher oder später ins Meer. Seinen Platz im Kosmos einnehmen, bedeutet, ein Leben lang im Fluss zu sein. Dabei kann es sich durchaus sinnvoll anfühlen, einmal gegen den Strom zu schwimmen, um nicht auf einen Felsen zuzutreiben. Oder es mag angebracht sein, zu springen, um einen Wasserfall oder eine Stromschnelle zu überwinden. Oder wegzutauchen. Die meiste Zeit wird es jedoch ein Fliessen sein, mal schneller, mal langsamer. Gier hat dabei keine Bedeutung. Wer im Fluss ist, für den ist Gier keine Kategorie mehr. Man kann nicht tiefer oder breiter, schneller oder schöner im Fluss sein. Man ist im Fluss, in dieser Erfahrung, mehr ist da nicht.