
Es geht immer nur um Liebe.

7 Arten von Glück in 25'000 Tagen






Ich fahre eine Strasse entlang. Ich halte das Steuer in der Hand.
Das Autodach schützt mich vor Regen, die Blechwände um mich herum geben mir Sicherheit. Der Boden unter mir ist fest und solide.
Ich sehe, wie die Welt auf mich zukommt.
Die Bäume, der Asphalt, der Fahrtwind kommen mir entgegen.
Und dann, von einem Augenblick auf den andern,
ändert sich meine Perspektive:
Die Welt geht jetzt durch mich hindurch.
Die Bäume, der Asphalt, der Fahrtwind gehen durch mich hindurch.
Dach, Blechwände, Boden sind weg. Irgendein Autopilot steuert, auf jeden Fall nicht ich.
Das Mich, durch das alles hindurch geht, ist kein Ich mehr.
Ich bin Baum, Asphalt, Fahrtwind ohne Ich. Ich hat sich aufgelöst.
Alles ist mit allem zutiefst verbunden. Dieses Gefühl ist nicht in mir, sondern allgegenwärtig überall.
Und dann, im nächsten Augenblick, bin ich wieder am Steuer,
und das ist auch gut so… Ich fahre immer noch und frage mich:
Hat sich jetzt etwas geändert?
Ich hatte offenbar soeben eine tiefes Verbundenheitserlebnis, aber ist jetzt etwas anders? Ich fahre auf der gleichen Strassemit der gleichen Geschwindigkeit. Die Welt kommt mir genauso entgegen wie vorher.
Der Baum ist noch immer mit der Erde verwurzelt und ragt in den Himmel. Der Asphalt ist immer noch Jahrmillionen alter Stein, der jetzt gerade als Asphalt daherkommt . Und der Fahrtwind bläst mir noch immer ins Gesicht.
Nichts hat sich verändert für sie. Sie waren und sind immer eingebettet in diese tiefe Verbundenheit. Einzigartig und in der Einheit.
Für Baum, Asphalt und Fahrtwind war ich immer der, der ich bin, ungetrennt und verbunden mit ihnen und allem.
Und für mich? Hat sich für mich etwas geändert?
Was ist in diesen paar Augenblicken für mich geschehen?
Ein Tor ist kurz aufgegangen.
Eine Wand, die nur ich sehe, ist weggebrochen.
Für ein paar Augenblicke war ich nicht mehr getrennt von allem andern.
Für ein paar Augenblicke war ich verbunden mit der Wirklichkeit ausserhalb meiner Fahrbahn.
Und ich realisiere jetzt, dass dieses Tor nicht aufgegangen ist, sondern eigentlich schon immer offen stand. Es ist ein torloses Tor, wie die Zen-Leute sagen. Und es hat mich kurz über seine Schwelle gezogen. Dieses Hinübergezogen-Werden kann ich nicht machen, es ist ein Geschenk, eine Gnade vielleicht.
Aber ich realisiere jetzt, dass diese Wand, die mich trennt, meine Illusion ist. Aus dieser Illusion der Getrenntheit bin ich aufgewacht.
Hinter diese Erfahrung kann ich nicht zurück.
Doch jetzt halte ich wieder das Steuer in der Hand, ich bremse, ich beschleunige, ich höre Musik, ich fühle mich sicher mit den verbliebenen Wänden um mich herum und dem Dach überm Kopf.
Für den Baum hat sich nichts geändert. Und auch nicht für die Asphaltfahrbahn, die schon immer durch dieses torlose Tor führte, genauso wie der Fahrtwind schon immer da hindurchblies.
Vielleicht spüren sie, dass für mich diese eine Wand weggebrochen ist, weil alle mitfühlenden Wesen es spüren, wenn sie einem offenen Herzen begegnen.
Ich spüre es und ich weiss jetzt: Ich bin der Weg.
Alles fliesst, hier wild, grün und kalt. Es ist minus 16 Grad und sie stehen knietief im Schnee am Ufer des Flusses. Die Sonne geht unter hinter den hohen Bergen, aber noch nicht ganz. Es bleiben ein paar Minuten und er nutzt sie. Eingepackt in seine grüne Winterjacke, bunter Schal um den Hals, kniet Näc am Flussufer und versucht die letzten Bilder dieses Tages zu schiessen. So wie er das schon tausend Mal gemacht hat. Er hat seine Stimme erhoben hinter Mikrofonen und Megaphonen, vor und hinter Kameras. Er ist an vorderster Front bei Demos mitgegangen, hat Kohlegruben besetzt. Und er hat eben auch Bilder gemacht, weil Näc eine Gabe hat, die nur wenigen eigen ist: er kann mit dem Herzen sehen. So jung er ist, so viel hat er bereits gekämpft. Gegen die Erderwärmung, für Gerechtigkeit und Fairness und gegen Ausgrenzung.
Wenn er hier am Fluss in die letzten Sonnenstrahlen blinzelt und vollkommen versenkt ist in seine Arbeit, tut das seinem Herzen gut. Dieses Herz kennt auch die dunklen Seiten. Es hat das Elend in den Flüchtlingslagern auf Lesbos gesehen und der Verzweiflung direkt in die Augen geschaut. Es weiss, dass überall gelogen und betrogen wird. Es weiss, wie sich Misshandlung, Schmerzen und Verlassenheit anfühlen; was es heisst, ausgestossen zu sein, gemobbt zu werden. Und es weiss, wie dunkel es im Herzen werden kann, so einsam, so dumpf, dass nur noch Tränen helfen, um das Unabwendbare wegzuschwemmen. Dieses sein Herz hat gelernt, wie es sich anfühlt, wenn die Tränen ins Nichts fliessen. Und es hat eben auch erfahren, wie warm es werden kann, wenn diese Tränen eine andere Wange berühren.
Näc gehört zur neuen Generation von jungen Menschen, die auf ihren Schultern Gewichte tragen, die keiner allein tragen kann. Klimawandel. Das Aussterben von Arten. Flüchtlingsströme. Die Ungerechtigkeit des Welthandels. Diese junge Generation ist bestens ausgebildet. Sie sehen all die Probleme klar und deutlich und viele von ihnen werden davon überwältigt. Das Leben wirft ihnen so grosse Brocken vor die Füsse, dass es weh tut. Und dann melden sie sich zurecht lautstark bei ihren Elterngeneration und sagen: «Wenn ihr uns schon solche Brocken hinterlässt, dann gebt uns wenigstens die Kraft und die Mittel, damit wir sie bearbeiten können!»
Aber heute Abend am Fluss läuft noch etwas anderes. Näc ist nicht allein hier. Neben ihm steht ein alter, weisser Mann und blinzelt in dieselben letzten Sonnenstrahlen. Ja er ist alt und weiss, was heute bei vielen bereits als Schande gilt. Wie viel er selbst zu dieser Welt voller Unrecht beigetragen hat, ist ihm nur allzu bewusst. Zwar hat er ein Leben lang nach dem Wahren und Guten gesucht und ist damals in den gleichen Kampf gezogen wie Näc heute. Aber auf diesem langen Lebensweg hat er sich auch mit den Mächtigen, den Reichen, den Betrügern und Steuerhinterziehern ins Bett gelegt. Er hat Leuten geschmeichelt, die er heute lieber nicht mehr kennen würde. Er hat damit recht viel Geld verdient und trotz all den sozialen und ökologischen Engagements, die er angestossen und unterstützt hat, hat er nie grundsätzlich in Frage gestellt, was viel grundsätzlicher hätte in Frage gestellt werden müssen.
Heute Abend stehen Näc und er am selben Fluss. Sie kennen einander. Sie sind Freunde geworden, über den Altersunterschied von vier Jahrzehnten hinweg. Sie vertrauen einander. Sie lernen voneinander. Braunes Haar und weisses Haar. Lockenkopf und Glatzkopf. Bunte Socken und schwarze Socken. Viel Lebenserfahrung und noch mehr Lebenserfahrung.
Es hat schon einige solch gemeinsamer Tage am Fluss gegeben in den vergangenen Monaten. Und da vor allem Näc hier mit seiner Kamera aktiv war, konnte der ältere sich jeweils entspannen. Ein ungewöhnlicher Zustand für ihn – er war ein Leben lang immer in der Verantwortung gestanden, sowohl als Vater als auch als Unternehmer. Hatte sich immer eingemischt, hatte immer versucht den Lauf der Dinge zum Guten und Besseren zu wenden. Er war zwar kein Kontrollfreak, aber die Kontrolle abzugeben, wäre ihm auch nie in den Sinn gekommen. Das hatte sich hier am Fluss in den letzten Monaten geändert. Der Junge machte hier die Arbeit, viel besser als er es je gekonnt hätte. Näc schoss Bilder und machte kurze Filmchen. Beides konnte er meisterlich. Und er schaute einfach zu. Zwar beklagte sich sein junger Freund immer wieder über die fehlenden Drehbücher. Aber der Alte wusste, dass gerade dieses Spontane, Unmittelbare den Wert dieser Bilder und Videos ausmachte und deshalb war er ein bisschen stolz darauf, dass er beharrlich nichts vorgab, sondern Näc’s Intuition vertraute und ihn einfach einfangen liess, was auftauchte entlang des Flusses. So auch an diesem Abend, an dem er sich einmal mehr entspannt und frei fühlte und einfach schauen konnte, ohne irgendetwas tun zu müssen. Und dann passiert es:
Er steht mit beiden Füssen fest und sicher in einem Schneefeld neben dem Fluss. Dann bemerkt er, wie alles ins Fliessen kommt. Das Wasser fliesst, von hier bis in die Donau und dann ins Schwarze Meer – alles ist miteinander verbunden, denkt er. Und plötzlich kommen auch die Strahlen der Sonne ins Fliessen, sind nicht mehr wie scharfe, gerade Strahlen, sondern wie Wellen, die sich über diese Landschaft und ihn ergiessen. Auch der Himmel beginnt aus dem Oben ins Unten zu fliessen, die Luft strömt in den Fluss. Und auch der Schnee ist plötzlich nicht mehr so fest, sondern wird weich und wellig und schliesst sich dem Strom an, der an ihm vorbeizieht.
Als nächstes löst sich sein Körper auf und kommt ebenfalls ins Fliessen. Die Grenzen zwischen Körper und Schneewelt werden durchlässig. Was noch vor einem Augenblick er selbst war verschwindet und fliesst mit. Alles ist nur noch Strom. Alles fliesst jetzt.
Und plötzlich wird ihm glasklar, dass alles zusammenhängt. Und plötzlich ist klar, wie alles zusammenhängt, wie das alles miteinander verbunden ist. Er staunt: Das Eine, das alles verbindet ist Liebe. Das spürt er klar und deutlich. Liebe, die in unendlicher Kraft alles verbindet und es weiterfliessen lässt. Diese Liebe steckt in jeder Welle, in jedem Strahl, in jeder Zelle. Für den alten, weissen Mann ist das in diesem Moment vollkommen einleuchtend und unzweifelhaft. Es ist Liebe, die alles lenkt und es zugleich in vollkommener Freiheit lässt.
Diese Liebe hat eine so grosse Wucht, dass es ihm den Atem verschlägt. Er wankt einen Moment. Dass er wankt, spürt er nicht. Er spürt sich überhaupt nicht mehr. Er ist als Ego im Fliessen verschwunden. Aber es ist völlig unzweifelhaft, dass diese Liebe unendlich mächtig und kraftvoll ist. Stärker als tausend Sonnen. Millionen Mal grösser als alles was der Mensch je geschaffen hat. Unfassbar kreativ und fantasievoll in jedem Augenblick. Sie hält die ganze Welt am Laufen, sie steuert alle Entwicklungen, sie hält auch den Kosmos und das alles geschieht ohne Mühe, ohne die geringste Anstrengung, spielerisch als wäre es ein Leichtes. All das sickert durch ihn hindurch, innert Sekunden, oder sind es Stunden oder Ewigkeiten – unerheblich.
Nach einer Weile taucht er wieder aus diesem Strom auf. Die Sonne ist hinter dem Berg verschwunden. Näc ist aufgestanden und hat die Kamera wieder umgehängt. «Alles in Ordnung?», fragt er. «Ja, alles ist gut», erwidert der ältere etwas benommen. Sie stapfen durch den Schnee auf die Dammkrone. Still gehen sie nebeneinander her. Der Jüngere hat immer noch seine Bilder vor Augen und überlegt, wie er sie zusammenschneiden soll. Der Ältere ist sprachlos und möchte gleichzeitig irgendwie Worte finden für das, was er eben erlebt hat.
Er schaut Näc von der Seite an, diesen jungen Mann, der sein ganzes Leben noch vor sich hat. Ein Satz aus einem Meditationsratgeber kommt ihm in den Sinn: «The problem is not the future of humanity, but the presence of eternity.» In diesem Moment, auf diesem Damm in eisiger Nacht, sieht er wie das gemeint ist: Näc als die Zukunft der Menschheit und er mit dieser Ahnung von Ewigkeit auf der Zunge. Aber was hilft das? Lässt sich damit der Klimawandel bekämpfen? Oder das Artensterben stoppen? Werden so Flüchtlingsströme versiegen? Oder erwächst zumindest Hoffnung aus dieser Erfahrung?
Wenn er jetzt zu seinem jungen Freund sagen würde, was er im Moment zutiefst als richtig empfindet, nämlich: «Alles ist gut. Alles ist an seinem Platz. Jede Sorge ist ein Akt der Überheblichkeit. Das Leben hat immer recht, seit ein paar Milliarden Jahren schon. Und alles wird von Liebe zusammengehalten.» Dann würde er einen ungläubigen Blick ernten.
Trotzdem sagt er es, aus heiterem Nachthimmel. Und er erntet genau diesen ungläubigen Blick, den er erwartet hat. «Wirklich jetzt? Ist das so?», fragt Näc. Und wenn in diesem Nachfragen nicht ein klein wenig Zuneigung durchgeschienen wäre, dann hätte er wohl geantwortet: «Ach vergiss es.» Aber dieses schwache Leuchten hinter der Frage war da, oder zumindest bildete er sich das ein; auf jeden Fall antwortete er: «Ja, das ist so.»
«Alles ist gut? Der Klimawandel ist gut? Dass Kinder immer noch verhungern überall in der Welt ist gut? Dass Menschen im Gefängnis landen, bloss weil sie die Wahrheit sagen, ist gut? Meinst du das im Ernst?»
Jetzt blieb der Alte stehen. «Schau, ich habe ja selber viel gelitten in meinem Leben, fühlte mich über weite Strecken mutterseelenallein. Sah Menschen sterben, die ich geliebt habe, viel zu früh, viel zu brutal. Wurde verlassen von meinen Liebsten, wieder und wieder. Habe selber Fehler gemacht und war weit weg davon, alles gut zu finden. Und all die Probleme, die ich und meine Generation aufgetürmt haben, sind weit jenseits von gut.»
«Also?», und in Näc’s Stimme lag wieder etwas, das ihn weiterreden liess.
«All das hier, du und ich, der Fluss, der Himmel, der Schnee, die Sonne, die waren ja nicht einfach da. Sie haben sich entwickelt. Aus Sternenstaub sind unsere Hände geworden und das hat Milliarden von Jahren gedauert. Aber so eine Hand ist ein einziges grosses Wunder, das wir einfach nicht mehr sehen, weil es für uns selbstverständlich geworden ist. Ein Wunder bleibt es trotzdem. Als ich vorher am Fluss stand, habe ich plötzlich dieses ganz grosse Wunder, das sich «Leben auf der Erde» nennt, gesehen. Und ich sehe es auch jetzt noch. Ich sehe es auf deinem Gesicht, ich sehe es, wenn ich in den Himmel schaue und die Sterne dort oben betrachte und mir klar wird, wie perfekt das alles organisiert ist. Wir drehen uns seit Milliarden von Jahren um unsere eigene Achse und sind eingewoben in diesen fantastischen Kosmos mit seinen Milliarden von Sonnen. Das ist nicht nur gut, das ist absolut perfekt und liebevoll bis ins kleinste Detail. Ich bin mehr als sechzig Jahre alt geworden, bevor ich das so sehen konnte. Vorhin am Ufer, neben dir, habe ich es gesehen. Ich kann daran nicht mehr zweifeln. Das Bild, das sich mir gezeigt hat, war zu klar.»
«Hmm», summte Näc und selbst in diesem «hmm» lag mehr Verständnis als er es je erwartet hätte. «Wenn es uns gelingt, diese Erde nicht nur mit dem Kopf zu verstehen, sondern – auch wenn es nur ein bisschen ist – sie mit dem Herzen zu lieben, dann ist schon viel gewonnen, denn die Erde liebt uns auch. Sie ist freundlich, warum wir eigentlich nicht?», fuhr er fort.
Sie gingen weiter Richtung Parkplatz. Keiner redete. Beide waren in Gedanken versunken. Der Alte fühlte sich dankbar und erfüllt. « Vielleicht erlebe ich so etwas nie wieder», dachte er sich. Es kam ihm vor wie ein Geschenk, eine Gabe, eine Gnade die er erhalten hatte. Er konnte nichts dafür und er wusste, dass er auch nichts tun konnte, um solch ein Geschenk nochmals zu bekommen. Dieses eine Mal musste genügen und es genügte auch.
Weshalb ist Jesus publikumswirksam über das Wasser spaziert?
Immer fragen, wem so etwas nützt.
Die katholische Kirche brauchte ein paar gute Verkaufsargumente für die Kirchensteuer und verfügte über eine gute Marketingabteilung.
Weshalb also brauchen wir Wunder?
Um uns in unserem Glauben zu bestärken, dass es noch etwas Grösseres gibt. Aber jede Kohlmeise ist ein Wunder.
Auch ganz ohne Glauben sieht man/frau, wie das Wunder tagtäglich sich um einen herum abspielt. Weil das Wunder das Selbstverständlichste der Welt ist.
Wenn man an Wunder glaubt, ist man anfällig für Heilslehren.
Jede Lehre fokussiert und das heisst: schliesst aus.
Jede Heilslehre sagt so und so muss es gehen, das und jenes musst du tun, anderes musst du lassen, das ist richtig, jenes ist falsch und bitte zahl deine Abobeiträge.
Im besten Fall sind die Heilslehren so gut, dass sie dich anleiten, das Wunder jeden Tag und immer zu sehen.
Aber wie die Geschichten der vielen geköpften Heiligen beweisen, ist das nicht immer das Ziel von Heilslehren.
Wenn man das Wunder sieht, ist man plötzlich frei, auch vom Glauben.
19/21
Sie stehen im Laden an der Kasse. Vor Ihnen legt eine Frau ihre Einkäufe aufs Band. Die Frau heisst Julia Roberts.
Sie kennen Julia Roberts nicht? Ok, dann ist diese Frau einfach eine Frau, die ihre Einkäufe bezahlen möchte.
Sie kennen Julia Roberts? Sie wissen, dass Julia Roberts eine der berühmtesten Schauspielerinnen Hollywoods ist? Ok, dann schauen Sie genauer hin. Ist sie es wirklich? Ja, sie ist es!
Im ersten Fall existiert Julia Roberts für Sie nicht. Sondern es existiert nur die Frau mit den Einkäufen.
Im andern Fall existiert Julia Roberts sehr wohl – für Sie. Ob etwas existiert oder nicht hängt also einzig und allein von Ihrem Wissen ab. Weil Sie Julia Roberts kennen, sehen Sie Julia Roberts. Wer Julia Roberts nicht kennt, kann sie nicht sehen. Genau so funktioniert Bewusstsein. Was nicht im Bewusstsein ist, existiert nicht. So ist es auch mit der Biodiversität.
Wenn Sie nichts von der Lorbeerweide – der schönsten Weide der Schweiz – wissen, dann werden Sie sie auch nicht sehen, selbst wenn dieser Weidenbaum neben dem Parkplatz steht. Wenn Sie den Bluthänfling (eine Vogelart) nicht kennen, werden Sie ihn auch nicht sehen, selbst wenn er durch Ihren Garten fliegt. All die Tier- und Pflanzenarten, die Sie nicht kennen, existieren für Sie nicht, Sie nehmen sie gar nicht wahr. Sie sind nicht in Ihrem Bewusstsein. Geschätzte 75‘000 Arten gibt es in der Schweiz, 42’000 davon kennt man. Für Sie und für fast alle anderen Menschen in der Schweiz existieren aber 99,999% dieser Arten nicht, obwohl sie den gleichen Lebensraum mit Ihnen teilen. Das ist einer der Gründe, weshalb wir uns so schwertun mit der Biodiversität.
Nun ist es aber nicht möglich, der ganzen Schweizer Bevölkerung einen Kurs in Artenkenntnis zu verpassen. Die einzige Lösung dieses Problems, die ich sehe, ist, dass wir den Menschen vertrauen, die etwas von Biodiversität verstehen. Genauso wie Sie ihrem Garagisten, ihrem Zahnarzt oder ihrem IT-Spezialisten vertrauen. Diese Biodiversitäts-Fachleute sind wichtig, vielleicht wichtiger als Zahnarzt, Garagist oder IT-Spezialist, weil diese Menschen fundamentale Zusammenhänge unserer Lebensgrundlage verstehen. Wir sollten sie ernster nehmen, als wir das heute tun. Einfach weil unsere Lebensgrundlage wichtiger ist als unser Gebiss, unser Auto oder unser Computer.