Luzern, erster richtiger Wintertag, frühmorgens, -3 Grad Celsius: Ja, auch auf meinem Balkongeländer wurde Schnee aufgebiegen. Das Geländer ist drei Zentimeter breit. Der Schnee darauf liegt 15 Zentimeter hoch. Wie ist das möglich!?
Flocke für Flocke hat sich unendlich leicht da niedergelassen. Jede einzelne Flocke verzahnte sich mit all den Flocken um sie herum. Sie sind niedergeschwebt, sicher hunderttausend von ihnen, um auf diesem schmalen Stück Geländer dieses Schneemäuerchen zu bauen. Wer könnte das so tun? Wer hätte diese Geduld? Diese Leichtigkeit?
Keiner von uns Menschen jedenfalls. Da hat ein*e grösser*er Baumeister*in gewirkt. Aber ich sehe ihn/sie nicht. Ich nehme keine Spuren von Tritten wahr. Ich lausche in die Schneewelt hinaus und höre nur die Stille.
Und werde dabei selber still. Und verspüre die Bewunderung mit meinem Herzen, das ruhig wird. Ich entspanne mich, es gibt nichts zu tun, ausser es geschehen zu lassen, dieses Wunder. Da ist etwas am Werk, das viel, viel grösser ist als ich. Diese schiere Grösse könnte Angst einflössen, tut sie aber nicht, im Gegenteil, sie schafft Vertrauen. Wenn der Himmel es fertigbringt innert Stunden ein solches weisses Mäuerchen zu schöpfen, was muss ich mir dann noch Sorgen machen?
Also lasse ich die Sorgen alle los und spüre der Freude nach, die dieser Schnee mir bringt. In dieser Freude liegt die Dankbarkeit, dass alles gut ist, so wie es ist. Und dass alles miteinander verbunden ist, jede Flocke mit der andern, die Schneedecke mit dem Boden und dem Himmel, ich mit dieser grossen, weissen Schneelandschaft und mit mir.